Birk Engmann
Mythos Nahtoderfahrung
Hirzel 2011 ISBN 978-3-7776-2146-3, ca. 110 Seiten
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Das Thema Nahtoderfahrungen bildet eine Schnittstelle zwischen Neurowissenschaften, Psychologie, Psychiatrie, Philosophie und Religionswissenschaften. Sind solche Erlebnisse mit wissenschaftlichen Methoden überprüfbar? Und wenn ja, sind sie erklärbar? Die schwierige Gratwanderung zwischen dem Wissenschaftlich-rationalen und der Sphäre des Glaubens
führt zu einer Vielfalt unterschiedlicher Annäherungen an das komplexe Thema. Sie werden in diesem Buch kritisch betrachtet – und besonders aus der Sicht der Naturwissenschaft hinterfragt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen des Autors ist jedoch in gleicher Weise erforderlich. Der Autor Jörgen Bruhn nimmt diese in der folgenden Beprechung vor. Gedanken zu Birk Engmann,“Mythos Nahtoderfahrung“, Stuttgart 2011 von Jörgen Bruhn
Nahtoderfahrungen faszinieren die Menschen immer wieder. Und das wird vermutlich auch so bleiben. Zu großartig und wichtig sind diese Erlebnisse. Immer wieder wird auch versucht, sie zu erklären und zu deuten, was auch immer man darunter verstehen möchte.
Eine erneute Anstrengung, sich auf ausschließlich naturwissenschaftlichem Wege hier Klarheit zu verschaffen, unternimmt Birk Engmann in seinem Buch „Mythos Nahtoderfahrung“. Für Engmann steht allerdings von vornherein fest, dass alles, was in diesem Zusammenhang heute zu sagen ist, ausschließlich vom Gehirn und dessen Stoffwechsel abhängt.
Diese reduktionistische Sichtweise führt dann zunächst dazu, dass der Verfasser erst einmal vieles an gesicherten Erlebnismomenten auslassen oder ohne die Selbstdeutungen der Nahtoderfahrenen darstellen muss. Dass nachprüfbare, sich im Moment der Reanimation in der Klinik ereignende Erlebnisse sich manchmal weit entfernt vom Ort der Wiederbelebung zugetragen haben, wird nirgends erwähnt. Die Genauigkeit, mit der Blinde im Zustand der Außerkörperlichkeit etwas wahrzunehmen vermögen, wird höchstens gedanklich gestreift, bleibt aber sonst ohne Bedeutung. Solche „Unterschlagungen“ (nur weil sie einem nicht in das Konzept passen!) halte ich für unwissenschaftlich.Kein einziger Nahtoderfahrener hat übrigens, soweit ich sehe, jemals das Licht mit dem Attribut „grell“ versehen, wie Engmann es tut.
Besonders zu beklagen ist, dass Engmann einige schon seit Jahren durch die neuere Forschung widerlegte Hypothesen (z.B. den Sauerstoffmangel als vermutete Ursache) einfach wiederholt. Sind ihm die Untersuchungen von z.B. Pim van Lommel („Unendliches Bewusstsein“) nicht bekannt? Hat er die wichtigen Darlegungen zum Problem der vermeintlichen „Objektivität“ des naturwissenschaftlichen Denkens in Gerda Liers Dissertation „Das Unendlichkeitsproblem“ nicht zur Kenntnis genommen? Gerade in Grenzbereichen der Medizin sollte man immer auch Gedanken anderer Disziplinen mit beachten.
Unangenehm fällt auf, dass Engmann sehr viele Phänomene der Nahtoderfahrungen mit pathologischen Zuständen vorschnell in Zusammenhang bringt, ohne die Möglichkeit einer Eigenständigkeit beider Erlebnisformen ins Auge zu fassen.
Aber: Nehmen wir einmal an, es gelänge, alle Vorgänge bei den Nahtoderfahrungen neurophysiologisch zu erklären, was wäre gewonnen? In diesem Fall würden sich die für uns Menschen eigentlich erst wichtigen Fragen ebenfalls einstellen, die gar nicht naturwissenschaftlicher Art sind: Welche Bedeutung haben solche Erfahrungen für uns persönlich? Warum hat die Natur uns mit solchen Erlebnismöglichkeiten ausgestattet? Was ist der Sinn, der in allem zu suchen und vielleicht auch zu finden ist?
Wie sagte doch ein nahtoderfahrener Arzt einmal zu R. Moody? „Als Naturwissenschaftler müsste ich denken: so etwas gibt es nicht. Aber gegeben hat es das trotzdem.“ Mit diesem „Trotzdem“ sich abzufinden, fällt reduktionistisch denkenden Wissenschaftlern schwer. Bei aller Wertschätzung der großen Leistungen der Naturwissenschaft darf nicht vergessen werden, dass die Untersuchungen von Nahtoderfahrungen, von Grenzerfahrungen des Lebens also, eine Gedankenweite erfordern, die sich dessen bewusst ist, dass es neben den materiellen Bereichen vielleicht weitere gibt, die aus methodischen Gründen der Naturwissenschaft (noch?) nicht zugänglich sind.