IANDS-Symposium, 11. bis 13. Februar 2022:
Was Nahtod- und andere außergewöhnliche Erfahrungen über die Beziehung zwischen Bewusstsein und Gehirn offenbaren
Ein Beitrag unseres Mitgliedes Gregor Bauer
Im NTE-Report vom April (2022) war es Thema: Eine im Februar 2022 veröffentlichte Studie soll eine hirnphysiologische Erklärung für Nahtoderfahrungen bieten. Im selben Monat veranstaltete die International Association for Near Death Studies (IANDS) ein Online-Symposium, in dem es im Grunde um dieselbe Frage ging: Können Nahtod- und andere Transzendenzerfahrungen belegen, dass es eine jenseitige Dimension gibt, in der wir nach unserem Tod weiterleben?
Das Symposium spiegelte die Vielfalt der Zugänge zu diesem Thema im englischsprachigen Raum. Deshalb stelle ich hier alle Referentinnen und Referenten kurz vor. So können Sie entscheiden, von wem Sie sich weiteren Aufschluss versprechen. Meist werden Sie schon bei einer kurzen Internet-Recherche fündig.
Links zu Webseiten von und über die Referentinnen und Referenten finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Jan Holden und Darren McEnaney.
Darren McEnaney, Student der kognitiven Verhaltenstherapie, entwickelte mit 12 Jahren eine große Angst vor der Auslöschung seines Bewusstseins durch den Tod. So begann er, sich mit Tanszendenz-Erfahrungen zu beschäftigen, die mit dem materialistischen Weltbild unvereinbar sind. Dazu erscheinen auf seinem YouTube-Kanal „Seeking-I“ zahlreiche Interviews.
Jan Holden ist die Präsidentin der IANDS und emeritierte Professorin für Psychologie. Ihre Forschung über die therapeutische Wirkung von Nachtodkontakten ist in dem Dokumentarfilm „Living with Ghosts“ von 2021 dargestellt. Auf dem Symposium präsentierte sie diese Forschung gemeinsam mit Graham Maxey sowie mit Clinical Assistant Professor Noelle St. Germain-Sehr, die Menschen dabei hilft, ihre spirituellen Erfahrungen in ihr Leben zu integrieren.
Der Psychotherapeut Graham Maxey ist verheiratet mit dem Medium Shannon Maxey. Als sie sich drei Tage kannten, entspann sich der folgende Dialog über ein Buch, das er ihr mitgebracht hatte. Shannon: „Das ist nicht dein Buch!“ – „Ich habe es von einem Freund bekommen.“ – „Ist er tot?“ – „Ja.“ – „Hat er sich in den Kopf geschossen?“ – „Ja.“ – „War er Linkshänder?“ – „Ja.“ – „Hieß er John?“ – „Ja.“ – „War er mit Barbara verheiratet?“ – „Ja.“ – „Nun, er sagt, dass Barbara eine wichtige Notiz nicht gefunden hat. Er will, dass du sie anrufst und ihr sagst, wo diese Notiz ist.“ Es kam so, und sein Leben wurde ein anderes.
Im ersten Teil der Veranstaltung lag der Schwerpunkt auf Forschung und Reflexion.
Der Philosoph Bernardo Kastrup stellte die Standpunkte vor, die in der Philosophie zum Verhältnis von Bewusstsein und Gehirn zurzeit vertreten werden. Nach seiner Überzeugung lässt sich heute nachweisen, dass nicht die Materie, sondern der Geist primär ist („The Idea of the World“, 2019). Er positioniert sich nicht nur gegen den Materialismus, sondern auch gegen den Panpsychismus, demzufolge alle Materie Bewusstsein hat.
Dass keineswegs alle Hirnforscherinnen materialistisch denken, zeigt das Beispiel von Marjorie Woollacott. Die emeritierte Neuro-Wissenschaftlerin beschreibt in „Infinite Awareness“ (2015), warum das Gehirn das Bewusstsein nicht produziere, sondern filtere. Beispielsweise werde in der Meditation die Wahrnehmung umso intensiver, je geringer die Hirnaktivität sei.
Charles Tart, emeritierter Professor für Psychologie und Autor von Standardwerken über außergewöhnliche Bewusstseinszustände, hält Telepathie und Geistheilung für erwiesene Tatsachen. Dass sich das in wissenschaftlichen Kreisen noch nicht herumgesprochen hat, liegt nach seiner Überzeugung an der Kraft irrationaler Vorteile („The Secret Science of the Soul“, 2017).
Bruce Greyson, emeritierter Professor für Psychiatrie und Neuroverhaltenswissenschaften und Co-Gründer der IANDS, hatte sein Schlüsselerlebnis als junger Arzt: Eine Patientin, die eben aus dem Koma erwacht war, berichtete ihm detailliert, was er getan und gesagt hatte, während sie in einem anderen Zimmer im Koma gelegen war. Dass die vielzitierte AWARE-Studie keine verifizierten Außerkörperlichkeits-Erfahrungen erbracht hatte, erklärt er u. a. damit, dass in den beteiligten Kliniken ein Sedativ zum Einsatz gekommen war, das Erinnerungen unterdrückt („After“, deutschsprachige Ausgabe: „Nahtod“, 2021).
Der Biologe Michael Nahm, seit 2018 Mitarbeiter am Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP), forscht über Terminale Geistesklarheit: Demenz-Kranke zeigen oft kurz vor ihrem Tod noch einmal geistige Fähigkeiten, die bei dem Zustand ihres Gehirns eigentlich nicht mehr möglich sein sollten. Für die Erforschung vergleichbarer Phänomene bei Tieren arbeitet er mit dem Materialismus-Kritiker Rupert Sheldrake zusammen.
Der Psychotherapeut William Peters machte 2000 in einem Hospiz eine gemeinsame Transzendenzerfahrung mit einem Sterbenden („Shared-Death Experience“). Seitdem untersucht er dieses Phänomen und seine Auswirkungen auf den Trauerprozess („At Heaven’s Door“, 2022). Für den Materialismus seien diese Erfahrungen eine noch größere Herausforderung als Nahtod-Erfahrungen, weil sie physiologisch normalen Menschen widerfahren und weil sie manchmal von mehreren Angehörigen gemeinsam erlebt werden (s. a. R. Moody, „Zusammen im Licht“, 2011).
Der Psychologe Callum Cooper befasst sich mit Nachtodkontakten, in denen Verstorbene überprüfbare Einzelheiten mitteilen, die zuvor nicht bekannt waren. Cooper wirkte mit an einer Studie zu diesen Phänomenen, geleitet von der Nahtod-Forscherin Evelyn Elsaesser („Spontane Kontakte mit Verstorbenen“, 2021).
Julie Beischel forscht seit 2003 über Medien, also über Menschen, die beanspruchen, den Kontakt zu Verstorbenen herstellen zu können. Schwerpunkt ist die Überprüfung spezifischer Angaben, die die Medien nur von den Verstorbenen selbst erfahren haben können („Investigating Mediums“, 2015; Artikel „Beyond Reasonable: Scientific Evidence for Survival“, 2021).
Jim Tucker führt die Arbeit des Reinkarnationsforschers Ian Stevenson weiter: Er erforscht Fälle von Kindern, die überprüfbare Erinnerungen aus früheren Leben berichten („Before“, 2021). Meistens wurde die erinnerte Person abrupt aus ihrem Leben gerissen. Werden wir also vor allem dann wiedergeboren, wenn wir unser Leben nicht abschließen konnten? Tucker lässt offen, ob es sich um Wiedergeburt handelt oder um die Übertragung von Bewusstseinsinhalten.
Robert & Suzanne Mays ging es vor allem darum, anhand von Nahtoderfahrungen zu zeigen, dass wir in der jenseitigen Welt als Individuen fortbestehen.
Im zweiten Teil der Veranstaltung lag der Schwerpunkt auf persönlichen Erfahrungsberichten.
Der bekannte Neurochirurg Eben Alexander hält es für erwiesen, dass sich seine eigene Nahtoderfahrung während einer Zeit ereignete, in der sein Gehirn inaktiv war. Unterschiede zwischen verschiedenen Nahtod-Erfahrungen erklärt er dadurch, dass jede Erfahrung auf das Individuum und seine Situation zugeschnitten sei, weil sie nur so zu spirituellem Wachstum führe.
Der orthopädische Chirurg Tony Cicoria hat 1994 während seiner Nahtod-Erfahrung in einem Raum, in dem er physisch nicht anwesend war, spezifische Vorgänge beobachtet, die ihm seine Frau später als zutreffend bestätigte.
Die Ärztin Bettina Peyton verlor 1988 ihr zweites Kind während der Geburt. Dabei machte sie eine Nahtod-Erfahrung, während der sie alles beobachtete, was im Raum vor sich ging, obwohl ihre Augen zugeklebt waren.
Suzanne Giesemann war Kommandeurin in der US-Marine, als der Tod ihrer Stieftochter bei ihr eine spirituelle Suche auslöste. Heute ist sie Medium, spirituelle Lehrerin und beschäftigt sich mit Beweisen für mediale Fähigkeiten („Messages of Hope“, 2011).
Der Chemiker Luis Minero hatte seit seiner Jugend immer wieder Außerkörperlichkeits- und andere Transzendenz-Erfahrungen. Er möchte Menschen helfen, ihre paranormalen Fähigkeiten zu entwickeln („Demystifying the Out-of-Body Experience“, 2012).
Der Grafiker Jurgen Ziewe beansprucht, seinen Körper jederzeit willentlich verlassen zu können, um bei vollem Bewusstsein in andere Dimensionen zu gelangen („Der multidimensionale Mann“, 2020).
So dankbar ich für dieses Symposium auch bin, möchte ich doch auch kritisch anmerken: Ich hätte mir gewünscht, dass auch Gegner des Jenseitsglaubens zu Wort kommen. In der Wohlfühl-Atmosphäre der Veranstaltung kam kaum Kritik auf. Nicht alles konnte ich glauben. Das mag auch an mir selbst liegen. Was mich irritiert: In meinem persönlichen Umfeld habe ich erlebt, dass Menschen paranormale Fähigkeiten für sich beansprucht haben, die sich – so jedenfalls meine Beobachtung – als unrichtig herausgestellt haben. Ich weiß von einer Familie, in der eine Frau spurlos verschwunden ist. Bei der verzweifelten Suche nach ihr hat es die Familie mit mehreren Medien versucht – ohne Erfolg. Warum wurden nicht auch solche Beispiele diskutiert?
Dennoch: Insgesamt war das Symposium für mich eine beeindruckende Bestätigung dafür, dass vieles für eine transzendente Dimension und ein Leben nach dem Tod spricht. Ob die angeführten Beweise tatsächlich Beweise sind, kann ich als Laie nicht feststellen. Aber das bedeutet nicht, dass ich mir nicht ein eigenes Urteil bilden kann. Dabei haben mir insbesondere die berichteten Transzendenz-Erfahrungen geholfen. Es sind einige darunter, denen ich persönlich glaube. Und daran werden auch Beobachtungen über irgendwelche Hirnströme vor oder nach dem Tod nichts ändern.
Die Video-Aufzeichnung des Online-Symposiums ist noch bis Mitte August 2022 über die Website von IANDS abrufbar (US-$ 35, für IANDS-Mitglieder US-$ 35).
Websites von oder über die Referentinnen und Referenten:
Darren McEnaney: https://seeking-i.blogspot.com/
Jan Holden: www.janholden.com
Noelle St. Germain-Sehr: https://www.beyondthebrain.org/noelle-st-germain-sehr/
Graham Maxey: https://www.coasttocoastam.com/guest/maxey-graham-100344/. Den oben beschriebenen Dialog mit seiner Frau schildert er in der Seeking-I-Episode 37 ab 15:00 min).
Bernardo Kastrup: https://www.bernardokastrup.com/
Marjorie Woollacott: https://marjoriewoollacott.com/
Charles Tart: www.paradigm-sys.com
Bruce Greyson: www.brucegreyson.com
Michael Nahm: www.michaelnahm.com
William Peters: https://www.sharedcrossing.com/
Callum Cooper: www.callumecooper.com
Julie Beischel: www.JulieBPhD.com, https://www.windbridge.org/
Jim Tucker: https://www.jimbtucker.com/
Robert & Suzanne Mays: https://www.selfconsciousmind.com/
Eben Alexander: http://ebenalexander.com
Tony Cicoria: https://thinkingmusicallyblog.wordpress.com/2016/01/31/tony-cicoria-a-mystical-story-of-music-and-lightning/
Bettina Peyton: https://shojiwax.com/2021/08/10/the-near-death-experience-of-dr-bettina-peyton/
Suzanne Giesemann: www.SuzanneGiesemann.com
Luis Minero: http://learnobes.com/about-bio/
Jurgen Ziewe: www.ziewe.com