Hans Kessler

Was kommt nach dem Tod

Über Nahtoderfahrungen, Seele, Wiedergeburt, Auferstehung und ewiges Leben.
Kevelaer: Butzon & Bercker 2014. 275 S. € 19.95 ISBN 978-3-7666-1755-2

Rezension von Dr. Denis Schmelter

Der inzwischen emeritierte Professor für Systematische Theologie Hans Kessler legt mit „Was kommt nach dem Tod?“ eine Publikation vor, in der ein breites Spektrum eschatologischer Fragestellungen auf dem aktuellsten Stand der Debatte beleuchtet wird.

Anhand von vier Grunderfahrungen des Menschen zeigt er in Kapitel I das tief im menschlichen Dasein verankerte Bedürfnis nach Bewältigung des Todes auf (19-43).

Hernach nimmt Kessler im Kapitel II das Phänomen der Nahtoderfahrung (NTE) (unter besonderer Berücksichtigung der Out-of-Body-Experience [OBE]) als Indiz für die Möglichkeit eines vom Körper/Gehirn potenziell unabhängigen Bewusstseins unter die Lupe (44-87). Die von ihm angemahnte argumentative Prüfung diverser über den Tod hinausweisender „Hoffnungsentwürfe“ nimmt er in Kapitel III zunächst in Form eines eher allgemeinen Überblicks vor (88-124). Dabei geht er auch auf die Seelenflugtheorie von Markolf Niemz ein, die er jedoch als „abwegige physikalistische Spekulationen“ (92) verwirft. In Kapitel IV stellt er den jüdischen und jesuanischen Hoffnungsentwurf dar (125-154), bevor er in Kapitel V sein eigenes Konzept eines überzeugenden österlichen Glaubens herausarbeitet (155-225). Den Inbegriff aller eschatologischen Hoffnung lässt Kessler in Kapitel VI (226-267) und einer Schlussbetrachtung (268-270) aufleuchten: Gott – Ursprung und Ziel des Lebens. Bemerkenswert ist bereits Kesslers eingangs geäußertes Bekenntnis: „Mittlerweile ist mein Nachdenken in etlichen Hinsichten, insbesondere auch in Bezug auf Nahtoderfahrungen, auf das Geist-Gehirn-Problem und auf den Begriff Seele, weitergegangen und hat mich zu einem neuen Durchdenken der Fragen veranlasst“ (18, Anm. 4). Am Prozess seines Durchdenkens der Fragen lässt Kessler den Leser so teilhaben, dass er dabei stets „mitgehen“ kann. Anspruchsvolle Gedankengänge und komplexe Zusammenhänge beschreibt er verständlich, so dass sie auch für Leser mit geringerem theologischem Fachwissen nachvollziehbar bleiben. Seine Zielgruppe dürfte er mit seinem Buch auf jeden Fall erreichen, hat er es doch „für suchende, fragende, zweifelnde Zeitgenossen geschrieben“ (11).

Die frappierende Tatsache, dass es bei OBE zu Wahrnehmungen objektiv-externer Realitäten kommen kann, die ohne die Annahme einer Perspektive außerhalb des Körpers nicht möglich sind, sich indes als zutreffend verifizieren lassen, fasst Kessler auf als „Hinweis auf ein außersinnliches Bewusstsein (auf einen Personkern oder Geist oder eine Seele), welches vom physischen Körper und funktionierenden Gehirn ablösbar ist und unabhängig von ihm existieren kann“ (64-65). Der Bestand gut dokumentierter Fälle solcher OBE mit „verifizierbare[m] Kern“ lege nahe, „auch anderen universellen Elementen bei NTE […] Beachtung zu schenken und sie mit Behutsamkeit zu bedenken. Sie könnten ja Fingerzeige, Gleichnisse, Hinweise auf etwas sein, das den Tod übersteigt“ (67).

Im Kontext der Mind-Brain-Debatte vergleicht er Pim van Lommels Postulat eines non-lokalen Bewusstseins (77-83) mit Günter Ewalds – das Phänomen der „Verschränkung“ einbeziehendem – Vorschlag eines „erneuerte[n]n Begriff[s] von Seele“ (85). An dieser Stelle ist eine der wenigen Unschärfen in Kesslers Gedankengang auszumachen. Hätte er nämlich die Debatte um den Panentheismus/Panpsychismus zur Kenntnis genommen, wie sie derzeit von einigen Theologen und Religionsphilosophen verstärkt geführt wird, bräuchte man diese beiden Positionen gar nicht gegeneinander auszuspielen. Unter Zugrundelegung eines panentheistischen Wirklichkeitsverständnisses eröffnet sich nämlich ein Horizont, vor dem sich eine Synthese anbahnen lässt: Diese würde es erlauben, ohne Abwertung oder Leugnung des auf Transzendenz verweisenden Charakters von NTE einerseits die postmortale (Wieder-)Vereinigung der menschlichen mit der göttlichen Wirklichkeit, andererseits die Kontinuität personalen Bewusstseins unter Wahrung individueller Identität über den Tod hinaus als denkmöglich herauszustellen.

Kesslers hoher Anspruch, „Auferstehung der Toten ohne Denkwidersprüche“ verstehbar zu machen (215), wird in der Tat überzeugend eingelöst. Auch wenn er dazu eine Vielfalt entsprechender theologischer Kontroversen mitsamt ihren mehrdeutigen Begrifflichkeiten und strittigen eschatologischen Modellen durchschreiten muss – das tut er allerdings im Vergleich zu anderen Autoren passagenweise nahezu virtuos-leichtfüßig – lohnt sich die Mühe der Lektüre, denn am Ende scheint ein sowohl vernunftgemäßer als auch angesichts des Todes existenziell tragfähiger Osterglaube auf, der sich als „reflektierte biblisch-christliche Glaubenshoffnung“ (215) ausweisen lässt. Geradezu geistig erfrischend wirkt Kesslers denkerische Klarheit und Konsequenz. Diese schreckt nicht davor zurück, auch gelegentlich etwas von dem Ballast abzuwerfen, der sich im Zuge verworrener dogmengeschichtlicher Entwicklungen und fehlinterpretierter biblischer Bilder angesammelt hat. So hat Kessler beispielsweise keine Schwierigkeit, die überkommene Rede vom „leeren Grab“ richtigzustellen (vgl. 164-167).

Jedem Menschen, der sich ernsthaft und unvoreingenommen mit den Antwortvorschlägen auseinandersetzen will, welche die Theologie auf die Frage „Was kommt nach dem Tod?“ anzubieten hat, ist das Buch wärmstens zu empfehlen.