08.04.2010 - Biologie

Mit Treibhausgas an der Schwelle zum Jenseits

Eine erhöhte Kohlendioxid-Konzentration im Blut begünstigt Nahtoderfahrungen

Licht am Ende eines Tunnels, Glücksgefühle oder eine scheinbare Trennung vom Körper: Nahtoderfahrungen sind ebenso vielfältig wie mysteriös. Eine Studie von slowenischen Forschern hat jetzt eine Verbindung zwischen Nahtoderfahrungen und einem Anstieg der Kohlendioxid-Konzentration im Blut ergeben.

 

Demnach wiesen Patienten, die während eines Herzstillstands Nahtoderfahrungen machten, eine signifikant höhere CO2-Konzentration im Blut auf, als diejenigen ohne solche Erlebnisse. Gleichzeitig war bei ihnen die Konzentration des Elements Kalium im Blut erhöht. Somit könnten hohe Konzentrationen von CO2 und Kalium eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Nahtoderlebnissen spielen. Ein solcher Zusammenhang sei bisher nicht bekannt gewesen, schreiben die Wissenschaftler.

Patienten mit Herzstillstand berichten recht häufig von Nahtoderfahrungen: Zwischen 11 bis 23 Prozent können sich nach der Wiederbelebung an intensive Erlebnisse erinnern, die unter die gebräuchliche Definition einer Nahtoderfahrung fallen. Diese Phänomene können aber bis jetzt nicht restlos erklärt werden. Die Forscher um Klemenc-Ketis sind aber bei der Suche nach den Ursachen einen Schritt weitergekommen. Sie befragten 52 Spitalpatienten zu ihren Erlebnissen während eines vorangegangenen Herzstillstands. Auf einer Skala von 0 bis 2 mussten die Befragten ihre Erlebnisse anhand von 16 Fragen bewerten. Wurden insgesamt sieben Punkte überschritten, sprachen die Forscher von einer Nahtoderfahrung. Zudem analysierten die Forscher Messwerte, die während der Wiederbelebung aufgezeichnet wurden – unter anderem die Konzentration von Kohlendioxid und Sauerstoff in arteriellem Blut und die Konzentration von Natrium und Kalium in venösem Blut.

Es zeigte sich, dass 11 der 52 Personen während des Herzstillstands Nahtoderfahrungen gemacht hatten. Unter den Patienten mit einer hohen Kohlendioxid-Konzentration im Blut fanden sich dabei signifikant mehr Leute mit Nahtoderfahrungen als unter diejenigen mit durchschnittlichen CO2-Werten. Und: Die Zahl der Punkte, welche die Befragten auf der Skala der Forscher erreichten, stieg proportional zur Konzentration des Gases im Blut. Dieser Zusammenhang erwies sich auch für die Konzentration von Kalium als gültig.

Bislang sei dies die erste Studie, die eine Verbindung zwischen Nahtoderfahrungen und einer hohen CO2-Konzentration im Blut nachweise, berichten die Wissenschaftler. Schon länger bekannt ist hingegen, dass eine hohe Kohlendioxid-Konzentration das Säuren-Basen-Gleichgewicht im Gehirn ändern und so ungewöhnliche Eindrücke hervorrufen kann, etwa Lichtblitze, Visionen oder eine scheinbare Trennung vom Körper. Nichtsdestotrotz könnten die Erfahrungen an der Schwelle zum Tod aber bis jetzt nicht rein physiologisch erklärt werden, betonen die Forscher: Tatsächliche Nahtoderfahrungen zeichneten sich nämlich durch ihre große Klarheit und die genauen Beschreibungen der Betroffenen aus. Das unterscheide sie von künstlich ausgelösten Nahtoderfahrungen, die sich beispielsweise durch das Einatmen von reinem Kohlendioxid herbeiführen ließen.Zalika Klemenc-Ketis (Universität Maribor) et al.: Critical Care, Onlineveröffentlichung vom 07. April
ddp/wissenschaft.de – Thomas Neuenschwander

 


Der Schweinfurter Neuromedinzer, Prof. Dr. Dr. Wilfried Kuhn nimmt dazu Stellung:

leider liegt mir die Originalarbeit nicht vor. Zum einen wäre die verwendete Skala zu überprüfen. Zum anderen wird in dem Abstract nichts über den O2-Gehalt ausgesagt.

Aus klinischer Erfahrung ist ein CO2-Mangel oft Folge eines Sauerstoffmangels. Das erhöhte Kalium könnte auch die Ursache und nicht die Folge des Herzstillstands gewesen sein. Bereits Lempert (Berlin) hatte 1994 mit induzierten Synkopen (absichtlicher O2-Mangel) NTE- ähnliche Phänomene auslösen können (ob CO2 gemessen wurde, müsste nochmals nachgeguckt werden - Arbeit liegt mir im Moment nicht vor).

Wir wissen, dass bei schweren Erkrankungen mit NTE physiologische Prozesse wie z.B. O2-Mangel und damit auch in Folge eine CO2-Retention auftreten kann. Dies ist keinesfalls als grundsätzliche alleinige Ursache von NTE, sondern nur als Korrelation mit der Schwere der Zellschädigung und als Zeichen eines metabolischen Prozesses aufgrund biochemischer Veränderungen anzusehen.

Es gibt etliche Nahtoderfahrungen, die ohne CO2-bzw. O2-Veränderungen einhergehen, wie z.B. DMT-induzierte NTE , Traumata (Stürze) etc. Dies wird im Abstract insofern bestätigt, dass die Unterschiede zwar signifikant sind, dass aber auch einige Fälle ohne CO2-Retention aufgetreten sind.  

Das grundsätzliche Paradoxon der geistigen Klarheit und Bewusstheit bei klinischem Bewusstseinsverlust(Koma) steht im Widerspruch zur neurobiologischen Lehrmeinung und kann durch die Neurobiologie  nicht erklärt werden!

 

 

Prof. Dr. Günter Ewald, Bochum

Die Studie könnte einen Beitrag zur Frage darstellen, warum nur um die 20% der nach einem Herzstillstand Wiederbelebten von einem Nahtoderlebnis berichten. Dass zu viel eingeatmetes CO2 (Hyperkapnie) - neben vielen anderen möglichen Faktoren - beim Auftreten von NTE eine Rolle spielt ist bekannt. Größere Sensibilität für NTE bei erhöhter CO2-Konzentration im Blut erscheint plausibel. Man sollte nur beachten, dass durch die neuen Überlegungen zum Auslösevorgang oder zur Disposition nichts Neues über den Inhalt des NTE-Geschehens gesagt ist, etwa über den Unterschied zwischen NTE bei biografisch relevantem Ereignis wie Unfall, schwere Krankheit usw. und Stimulationsexperimenten mit NTE-artigen Elementen. In dem neuen Buch von van Lommel "Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zu Nahtoderfahrung" (Patmos 2009) wird zudem eindringlich, dass man das "scheinbar" bei der Trennung vom Körper im NTE-OBE ruhig streichen kann.

 

PD Dr. Dr. Thomas Angerpointner, München

es ist wohl zu viel der Aufregung um die Studie zu erhöhten CO2-Werten und NDEs. Ich stimme Herrn Kollegen van Laack zu, dass einerseits die Fallzahl für eine statistische Aussage viel zu gering ist und andererseits oft ein Trigger zur Auslösung eines NDEs da ist. NDEs können aber auch bekanntlich spontan auftreten. Darüber hinaus ist diese Arbeit keinesfalls die erste, die eine Hyperkapnie als ursächlich für ein NDE ansieht. Es ist (wieder einmal) der untaugliche und vielfach widerlegte Versuch, ein NDE auf einen rein physiologischen Parameter zu reduzieren. Mal ist es eine Hypoxie, mal eine Droge, mal Endorphine, mal eine Temporallappenepilepsie, mal eine Temporallappen-Stimulierung und so weiter und so weiter. Diese Modelle sind rein reduktionistisch und taugen alle nicht zur Erklärung eines NDEs, weil nach dem derzeitigen materialistischen Paradigma eine spirituelle Komponente gar nicht in Frage kommen darf. Ich selbst habe bei in meiner Praxis operierten Kindern Untersuchung, ob es nach einem in der Kinderanästhesie häufig auftretenden Laryngospasmus (Stimmritzenkrampf mit nachfolgendem O2-Abfall) zu NDE-ähnlichen Erscheinungen kommt, mit Null Ergebnis. Es kann natürlich sein, dass diese Episoden auch gar nicht zu NDEs führen konnten, da in keinem Fall ein lebensbedrohlicher Zustand aufgetreten ist, da der Anästhesist sofort gegenregulierte. Von Zeit zu Zeit erzählen mir aber die Eltern, dass die Kinder unter Narkose ohne jegliche bedrohliche Situation spontan von OBE-ähnlichen Erlebnissen berichten.

 

Prof. Dr. Walter van Laack

Eine Stellungnahme des Aachener Mediziners und Naturphilosophen, im Online Ärzte Nachrichtendienst finden Sie hier .