In Nahtoderfahrungen wird der Tod als ein leichter, verheißungsvoller Übergang in eine schönere Welt beschrieben. Alles, was einen auf Erden beschwerte, ist verschwunden. In „jenseitigen“ Regionen wird man von verstorbenen Angehörigen freudig begrüßt. In der Begegnung mit dem „Licht“ oder mit Lichtwesen lernt man eine Geborgenheit und Liebe kennen, wie es sie auf der Erde nicht zu geben scheint. Nahtoderfahrungen begründen die Erwartung, dass das, was nach dem Tod wartet, absolut erstrebenswert ist. Durch eine verklärende Sicht des Todes könnten Nahtoderfahrungen die Bereitschaft von Menschen, die an einen Suizid denken, verstärken.

Es gibt Hinweise darauf, dass genau das geschieht, wenn suizidgefährdete Menschen von den Vorzügen „der anderen Seite“ erfahren. Die amerikanische Autorin Joyce Brown spricht aus eigener Erfahrung. Ihr Vater hatte eine Nahtoderfahrung in Folge eines Autounfalls. Er habe ihr oft davon erzählt, wie schön es „auf der anderen“ Seite sei. Das habe bei ihr selbst die Tendenz verstärkt, den Tod als Ausweg von ihren Problemen zu sehen, statt nach Antworten und Lösungen zu suchen. (Heavenly Answers for Earthly Challenges)

Auch Nahtoderfahrene selbst sind manchmal suizidgefährdet. Das scheint besonders für Kinder und Jugendliche zu gelten. Die Nahtodforscherin Phyllis Atwater schreibt zu den Ergebnissen einer Befragung, die sie durchgeführt hat: „Während bei Erwachsenen Nahtoderfahrungen im allgemeinen suizidabschreckend wirken, lässt sich dasselbe für Kinder leider nicht sagen.“ (Children of The New Millenium) Zu einer verstärkten Suizidneigung könnten die Probleme beitragen, die sich oft nach einer Nahtoderfahrung einstellen. Von Erwachsenen weiß man, dass die Erlebnisse mit erheblichen Veränderungen in Einstellungen und Haltungen einhergehen, die Angehörige und Freunde meist nicht nachvollziehen können. Man kann von einer Phase der Neuorientierung sprechen, die sich über Jahre erstrecken kann. Sie kann mit einem Gefühl der Desorientierung verbunden sein. Wenn man bei Kindern ähnliche Entwicklungen unterstellt, könnte es sein, dass Nahtoderfahrungen zu einer zunehmenden Isolation beitragen. Bereits bestehende Konflikte könnten sich dadurch verschärfen.

Wie kann man einer möglichen Suizidgefährdung vorbeugen? Ich nenne Anregungen, wie Bezugspersonen einem Kind oder Jugendlichen nach einer Nahtoderfahrung helfen können. Sie gehen zurück auf Vorschläge, die von der Internationalen Organisation für Nahtodstudien (IANDS) erarbeitet wurden.

-          Wenn ein Kind/ein Jugendlicher einen Herzstillstand hatte, sollte man die Möglichkeit einer Nahtoderfahrung in Betracht ziehen.

-          Hören Sie Kindern oder Jugendlichen aufmerksam zu, wenn sie nahtodähnliche Dinge erwähnen. Kinder sprechen manchmal davon, dass sie nicht in ihren Körper zurück wollten, oder sie erwähnen z. B. eine Kommunikation mit „Geistern“.

-          Vertrauen Sie der Realität des Kindes und verhalten Sie sich diskret in Bezug auf das, was Ihnen mitgeteilt wird.

-          Helfen Sie dem Kind dabei zu unterscheiden, wann und mit wem es über nahtodbezogene Erlebnisse sprechen kann.

-          Seien Sie darauf vorbereitet, das Kind durch Veränderungen und Anpassungsphasen zu begleiten.

-          Eignen Sie sich Wissen über Nahtoderfahrungen an, sei es durch Lektüre oder durch Gespräche mit Nahtoderfahrenen.

-          Unterstützen Sie das Kind, wenn es ein zunehmendes Interesse an Spiritualität zeigt. Das kann sich zum Beispiel im Wunsch nach häufigeren Kirchenbesuchen oder nach Gebeten ausdrücken.

-          Manchmal zeichnen sich Kinder, die eine Nahtoderfahrung hatten, auch durch ein besonderes Interesse an tiefen Gesprächen über die Bedeutung und den Sinn des Lebens aus.

-          Sie können das Kind dazu ermutigen, sowohl über seine Nahtoderfahrung als auch über den Anpassungsprozess etwas zu schreiben und/oder zu malen. Eltern können ein Tagebuch führen, das sie zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Kind teilen können.

-          Bei besonders ausgeprägten Anpassungsschwierigkeiten kann therapeutische Hilfe nützlich sein. Besonders Kunst- und Musiktherapie können hilfreich sein. Wenn das Kind 1 – 10 Jahre alt ist, wäre eine Spieltherapie angemessen.

 

Trotz der Beobachtung, dass sich Nahtoderlebnisse zugunsten eines Suizids auswirken können, entspricht die Selbsttötung nicht dem „Geist“ der Nahtoderfahrungen. Menschen, die versucht hatten, sich zu töten, berichten manchmal, dass ihnen im Verlauf ihrer Nahtoderfahrung etwas gesagt oder gezeigt wurde, was ihren Suizidversuch betraf. Eine 16-jährige hatte versucht, sich mit Schlaftabletten umzubringen. Ihre Mutter hatte ein paar Jahre zuvor Selbstmord begangen. Sie schildert eine Nahtoderfahrung, in der sie die Gegenwart eines anderen Wesens wahrgenommen habe. „Da war noch jemand da, ein Schutzengel oder so was … Ich bekam gezeigt, wie schön mein Körper war, und überhaupt jeder Körper. Ich bekam gesagt, dass mein Körper ein Geschenk war und dass ich darauf aufpassen und ihn nicht umbringen sollte. Als ich das hörte, schämte ich mich sehr für das, was ich getan hatte, und hoffte, dass ich weiterleben würde.“ Als einer anderen jungen Frau mitgeteilt wurde, dass sie aus der Welt des Lichtes wieder zurück ins Leben müsse, dachte sie: ‚Okay, ich gehe zurück, aber ich weiß jetzt, wie ich hier wieder heraufkomme.“ Die Antwort lautete: „Du kannst dir nicht selbst das Leben nehmen. Das ist keine Lösung. So geht es nicht. Du musst dein Leben sinnvoll leben.“ (Melvin Morse, Verwandelt vom Licht)

In Zusammenarbeit mit dem Netzwerk-Nahtoderfahrung hat Werner Huemer (Thanatos-Tv) eine Kurz-Doku erstellt, die sich mit der Suizidproblematik beschäftigt: „Ich habe das Licht erlebt!“ | Nahtoderfahrungen als Suizid-Prävention“

Vgl. auch: Da war nur Schwärze, und ich dachte: Das kann es ja nicht sein!“ | Zu Besuch bei Christa M. Feuster

Ebenfalls bei Thanatos-tv ist das Video erschienen: Suizid-Prävention und Nahtoderfahrungen | Joachim Nicolay im Gespräch“

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