Christliche Theologen haben diskutiert, inwieweit Nahtoderfahrungen etwas über das Leben nach dem Tod aussagen. Viele äußern sich skeptisch. Sie sagen: Nahtoderfahrungen sagen über den Tod nichts aus; denn die Menschen waren ja noch gar nicht tot. Meiner Ansicht nach ist das ein Missverständnis. Nahtoderfahrungen sind Transzendenzerlebnisse. Ganz unabhängig davon, wie nahe jemand dem Tod gekommen ist, schenken sie eine Ahnung von einer anderen, das Leben und den Tod umgreifenden Wirklichkeit.
Als Beispiel für eine Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben möchte ich Aussagen Nahtoderfahrener erwähnen, die sich auf Aufenthalte in paradiesischen Regionen beziehen. Die Menschen befinden sich in wunderschönen Landschaften, wo sie Verstorbenen und Lichtwesen begegnen. Die Schilderungen der paradiesischen Regionen unterscheiden sich von irdischen Verhältnissen vor allem durch die Liebe, die hier überall präsent ist. In diesen Sphären gibt es nichts Trennendes mehr. Alle scheinen von einem Bewusstsein der Einheit erfüllt zu sein. Wenn man alles zusammennimmt, was diese Erfahrungen ausmacht, versteht man, was Menschen dazu bringt, religiöse Vergleiche anzustellen. Um die Vollkommenheit ihrer Erfahrung zu verdeutlichen, sprechen sie von einem „heiligen Ort“, fühlen sich an den „Garten Eden“ erinnert oder wähnen sich „im Himmel“.
In Nahtodberichten finden sich an vielen Stellen Hinweise auf ein Weiterleben nach dem Tod, wie es christlichen Glaubensüberzeugungen entspricht. Aber auch im Hinblick auf das Gottesbild zeichnen sich Parallelen ab. In manchen Berichten wird die Begegnung mit dem Licht als Gotteserfahrung beschrieben. Das Licht erscheint als ein personales Gegenüber, mit dem man kommunizieren kann. Die Liebe, die es ausstrahlt, ist bedingungslos, an keine Voraussetzungen geknüpft. Das heben die betroffenen Menschen besonders hervor.
Bei allen Übereinstimmungen und Überschneidungen kann man aber nicht übersehen, dass an manchen Stellen auch spirituelle und religiöse Inhalte anklingen, die zumindest über das traditionelle Verständnis des christlichen Glaubens hinausgehen. Dazu zählen Berichte über das Einswerden mit dem göttlichen Licht. Es sind mystische Erfahrungen, die das Gottesbild erweitern. Gott / das Göttliche wird auf dieser Stufe der Erfahrungen als überpersönlicher Urgrund aller Dinge erlebt. Gleichzeitig vertieft sich das Bild vom Menschen. Er wird als ein Wesen gesehen, das teilhat am Göttlichen. Betroffene sprechen von der Entdeckung des „göttlichen Funkens“ oder des „Wahren Selbst“.
In manchen Berichten wird auch Bezug auf ein vorgeburtliches Dasein - eine „Präexistenz“ - genommen. Auch die Reinkarnation hat einen Platz in Nahtodberichten. Sie wird in den Büchern von Stefan von Jankovic (Reinkarnation als Realität) und Azmina Suleman (A Passage to Eternity) thematisiert.
Zu den Jenseitsbildern in Nahtodberichten vgl. das Interview auf Thanatos-tv:
Nahtoderlebnisse und Jenseitsbilder | Joachim Nicolay im Gespräch